Wie viel Wahrheit steckt in einer Biografie?

Wie viel Wahrheit steckt eigentlich in den Erinnerungen des Autors, der Autorin? Können wir das eigene Leben, Handeln und Wirken im Nachhinein schönreden und mit verklärtem Blick auf Ereignisse blicken?

Als ich mit Lebensbilder 2007 begann, beschäftigten mich viele Fragen, so auch die Frage nach der Wahrheitsfindung und diesbezüglich meine Rolle in den Buchprojekten. Auch unter Freunden wurde die Frage an mich herangetragen: „Ja, aber wie kommst du denn an die Wahrheit heran?“ Ich hatte also durchaus Bedenken, dass ich als Feedback für meine Arbeit bekommen könnte: „Das liest sich ja alles recht schön. Aber tatsächlich hat sich einiges doch ganz anders abgespielt. Da hat der Papa einiges unter den Tisch gekehrt und sich selbst ins rechte Licht gerückt.“

Hatte ich bislang das Glück, dass mich solche oder ähnliche Worte nie erreichten?

Die persönliche Sicht des Autors

Im Grunde ist es offensichtlich: Eine Biografie enthält die ganz persönliche Autorensicht auf die Ereignisse. Niemand ist in der Lage, die Wahrheit zu liefern! Doch was wir sehr wohl versuchen können: die Darstellung so nahe wie möglich an die persönlich wahrgenommene Realität heranführen. Wir versuchen also mit reinem Gewissen und so ehrlich wie möglich die eigenen Wahrnehmungen, Gefühle und Beobachtungen zu äußern. Niemand kann uns diese streitig machen.

Geraten Sie in einen Themenbereich, wo Sie instinktiv wissen, dass eine gewisse „Meinungsvielfalt“ herrscht, dann sollten Sie Ihre subjektive Sicht sehr wohl noch unterstreichen.

Hier einige Beispiele:

  • In meinen Augen hatte Käthe wenig Freude mit ….
  • Diese Situation war für mich schwer erträglich, wenngleich …
  • Ich vermute, dass ich damals …

Ich plädiere sehr dafür, dass eine Biografie einen versöhnlichen Unterton trägt und dass die Weisheit sowie die Gelassenheit des Alters zu spüren sind. Die persönliche Reflexion soll durchaus erkennbar sein. Denn die LeserInnen finden Charaktere mit Zweifel und Fehlern weitaus liebenswerter und authentischer als das stattliche Familienoberhaupt, das sich von allen Makeln frei fühlt.

Was darf ich verschweigen?

Ich halte es auch für durchaus gerechtfertigt, manche Ereignisse nicht oder in stark verkürzter Form zur Sprache zu bringen. Der heimliche Liebhaber, jahrelang im Besitz meines Herzens, muss selbst in der Biografie nicht in die Öffentlichkeit treten. Die sich über Jahre dahinziehende Scheidung verlangt nicht nach Details.

Blickwinkel verändern

Worüber ich mich immer freue: Wenn sich die Gelegenheit ergibt, über ein Ereignis aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu berichten. Der Papa erzählt, wie lässig er das mit der Kindererziehung hingebracht hat. Und davon getrennt „packen“ die Kinder aus. Das funktioniert natürlich nur bei einer intakten Vater-Kind-Beziehung und Menschen, die über ein gewisses Maß an Selbstironie verfügen. Oder Mama und Papa erzählen aus dem jeweiligen Blickwinkel von ihrer ersten Begegnung, dem Heiratsantrag oder dem Erleben von Hindernissen, …

Halten wir fest: Eine Biografie ist immer subjektiv authentisch. Der Autor/die Autorin sollte sich so nah wie möglich an die persönlich wahrgenommene Realität begeben.

Philosophen aus allen Epochen haben sich mit der Wahrheit auseinandergesetzt und ihre Theorien entwickelt. Eine Übersicht findet die interessierte Leserschaft hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit

Zum Abschluss noch ein Beispiel zu einem kleinen Buchprojekt. Eine sehr liebe Kundin hatte sich dazu durchgerungen, die schwierigen Phasen ihres Lebens sehr ehrlich und offen zu adressieren. Über einige Jahre hinweg hatte sie bereits das Bedürfnis nach Verschriftlichung begleitet und sie wollte in aller Ruhe ihre Sicht der Dinge darstellen. Sie hatte dabei genau zwei Leser vor ihren Augen: ihre beiden schon erwachsenen Kinder. Mit den Erzählungen aus ihrer Perspektive wollte sie ihren Kindern so manche Entwicklung im Leben nachvollziehbar erklären und die von Mutterliebe getragenen Entscheidungen begründen. Mit der von ihr gewählten Buchform signalisierte sie: Dies ist mein Geschenk an dich, es wird, genauso wie ich, immer für dich da sein. Du kannst es lesen, wann immer du dazu bereit bist.

Für mich steht jedenfalls fest: Was gäbe ich darum, Opas persönliche Erinnerungen, Erkenntnisse, Wahrnehmungen nachlesen zu können! Ich bin davon überzeugt, dass er seine Lebensgeschichte so ehrlich wie möglich geschrieben hätte.

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